Rome. Marble. Ca. 150 CE. Inv. No. A 461.Saint Petersburg, State Hermitage MuseumPhoto by Ilya Shurygin
Orestes slaying Aegisthus (a close-up of relief “Orestes slaying Aegisthus and Clytemnestra”).
Rome. Marble. Ca. 150 CE.
Saint Petersburg, State Hermitage Museum
(Санкт-Петербург, Государственный Эрмитаж).
13. VORDERSEITE EINES SARKOPHAGS: ERMORDUNG DES AIGISTHOS UND DER KLYTAIMESTRA. Taf. 25—27.
Inv. Nr. A. 461.
Maße: H. — 0,56 m; L. — 2,33 m.
Material: Kleinkörniger, weißer Marmor.
Herkunft: Gelangte 1869 aus dem Palazzo Lezzani in Rom in die Ermitage. Vorher befand sie sich im Palazzo Circi.
Erhaltungszustand: An den Rändern Brüche von den Schmalseiten. Aus drei Stücken zusammengesetzt. Ein horizontaler Bruch verläuft durch die Beine der Figuren, vertikale Brüche durch den rechten Arm und das rechte Bein des Aigisthos sowie durch das linke Bein und die linke Hand des Orest.
Ergänzt sind: an der Figur des Aigisthos die Nase, ein Flicken am rechten Bein und ein Teil der Mantelfalten; an der Figur des Orest die Nase, die Finger der linken Hand, das Schwert, ein Flicken am rechten Bein; an der hinter Orest stehenden Erinye die Nase; bei Pylades Flicken am linken Oberschenkel und am rechten Handrücken; an der folgenden Erinye Flicken am rechten Fuß; an der links abschließenden Erinye, deren vorderer Teil des rechten Fußes fehlt, sind Flicken am rechten Unterschenkel und Chiton ergänzt; bei Elektra fehlt die Nase, ein Flicken ist am linken Knie eingesetzt; bei der Amme Flicken an der Haube, am Mantel und am Chiton; bei Orest in der rechten Szene der rechte Arm mit dem Schwert; bei Klytaimestra die Nase und Flicken am rechten Knie und Fuß; bei Pylades fehlt die Nase; und bei der rechts abschließenden Erinye sind Nase und Kinn ergänzt.
Die erste Restaurierung fällt in die Zeit, als sich der Sarkophag noch in den italienischen Sammlungen befand. In der Ermitage wurde der Sarkophag 1956 erneut restauriert, wobei die Fehlstellen durch Gips ergänzt und die Sarkophagwand mittels eines Eisenrahmens gefaßt wurde.
Literatur: SR. II, S. 166—
Die Vorderwand des Sarkophags besitzt Sockel und Karnies, die schmal und glatt ausgeführt sind. Die Reliefkomposition läßt sich thematisch in zwei Teile S.36 gliedern. Die linke Seite und die Mitte sind der Aigisthophonie gewidmet. In der Mitte befindet sich der auf dem Thron sitzende Aigisthos und der ihn überwältigende Orest. Auf der anderen Seite des Aigisthos erscheint eine weibliche Figur, die mit einer Schatulle oder einer Sitzbank zum Schlage ausholt. Nach der Deutung von C. Robert handelt es sich dabei um Erigona, eine Tochter des Aigisthos, meines Erachtens besser als Elektra zu benennen. Links steht unmittelbar hinter Orest eine Erinye, weiter Pylades und eine weibliche Figur, die C. Robert als Elektra anspricht, die aber auch Chrysothemis sein kann, deren Name und Darstellung nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich in der Ermordungsszene des Aigisthos auf einer
Das Relief ist ziemlich hoch und die Oberfläche geglättet. Bei der Gestaltung der Haare wurde der Bohrer verwendet. Die Pupillen sind durch Bohrlöcher gekennzeichnet.
Das Relief ist einschichtig, wobei die Figuren gleichmäßig über das schmale Friesband verteilt sind. Die Geschlossenheit der Komposition wird durch die Figuren der Erinyen erreicht, deren statische Haltung mit der Dynamik der übrigen Personen der Handlung kontrastiert, die eindeutig die thematische Szene abgrenzen und gleichzeitig sowohl dekorative als auch allegorische Figuren sind.
Das Thema ist auf dem Sarkophag klar und deutlich behandelt und stimmt völlig mit der Tragödie des Aischylos überein. Zugleich zeichnet sich die Behandlung des Themas, die in der römischen Sarkophagplastik nicht neu ist, im vorliegenden Falle durch neue Elemente und Originalität aus. Dieser Sarkophag gibt, wie bereits wiederholt in der Literatur2 hervorgehoben worden ist, die Szene des Doppelmordes selbst wieder, während sonst gewöhnlich der Moment, der unmittelbar darauf folgt, nämlich die ausgestreckten Leichname des Aigisthos und der Klytaimestra sowie der von den Erinyen verfolgte Orest dargestellt werden3. Als Urbild jener weitaus zahlreicher überlieferten Sarkophage gilt ein Bild des Malers Theon (Ende des 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung)4. Der Vertreter dieser Ansicht, L. Guerrini, erblickt den Prototyp für den Sarkophag der Ermitage in einem anderen, älteren Werk der Malerei. Tatsächlich ist eine solche Behandlung der ganzen Szene zweifellos älter. Davon zeugen auch Bilder der rotfigurigen Vasenmalerei5. So stimmen auf der bereits erwähnten Wiener Pelike die Komposition und die Umstände der Ermordung des Aigisthos mit dem Relief der Ermitage überein. Orest versucht, Aigisthos vom väterlichen Thron zu stoßen, und schickt sich gleichzeitig an, ihn mit einem von unten nach oben geführten Dolchstoß zu treffen. Der auf dem Thron sitzende Aigisthos kommt allein in der Vasenmalerei und auf dem Sarkophag der Ermitage vor. Aber das zeugt eher von einer allgemeinen literarischen Tradition als von einer bildlichen.
Unter den bildlichen, speziell den plastischen Denkmälern stellen etruskische Urnen6 die unmittelbaren Vorläufer des Sarkophags in der Ermitage dar. Die Szenen mit der Ermordung des Agamemnon, des Aigisthos und der Klytaimestra sind in der etruskischen bedeutend weiter als in der römischen Grabplastik verbreitet. Und gerade hier findet man die nächsten Parallelen in der Komposition, da auf den etruskischen Urnen die Szene mit der Ermordung besonders häufig auftritt. Dabei werden die Episoden in der Regel von links nach rechts in chronologischer Abfolge angeordnet — Ermordung des Aigisthos, Ermordung der Klytaimestra — , wobei die Hauptperson der Handlung, Orest, wiederholt wird.
Dieses allgemeine Kompositionsschema ist auch auf dem Sarkophag der Ermitage verwendet: zwei Episoden mit jeweils drei aktiven Personen. Originell ist nur die Tatsache, daß die Ermordung des Aigisthos in den Mittelpunkt gerückt ist, während der Muttermord in den Hintergrund tritt und der damit freigewordene linke Teil der Sarkophagwand mit zweitrangigen, kaum untereinander verbundenen Figuren ausgefüllt wird.
Der Unterschied zwischen dem Sarkophag der Ermitage und den anderen Sarkophagen zum gleichen Handlungsgegenstand besteht nicht nur in der Behandlung des Themas, sondern auch im kompositorischen Aufbau. Auf den Sarkophagen im Vatikan7 und ehemals im Lateran8 haben beide Mordszenen S.37 die gleiche Bedeutung. Deshalb ist in der Komposition nicht nur deutlich die Mitte hervor gehoben und werden die Ecken durch Randfiguren akzentuiert, sondern wird auch völlige Symmetrie gewahrt. Dieses — vom Sarkophag der Ermitage abgesehen — auf allen Sarkophagen mit der Aigisthophonie konsequent befolgte Kompositionsprinzip ermöglicht es, diese mit einer ganzen Gruppe von Sarkophagen mythologischer Thematik wie den Leukippiden9, Niobiden10, dem Raub der Proserpina11 und einem Fragment mit unbekannter Darstellung12 in eine Reihe zu stellen. Diese Sarkophage, die durch das gleiche Prinzip ihres Kompositionsaufbaues verbunden sind, werden in die Jahre 150—
Die ungewöhnliche Komposition des Sarkophags in der Ermitage schließt ihn aus dieser Gruppe gleichzeitiger Denkmäler aus. Indessen kann man der Meinung L. Guerrinis nicht zustimmen, daß der Prototyp des Sarkophags in der Ermitage ein Werk der Malerei war. Dagegen spricht der Eklektizismus der Komposition und, was besonders wichtig ist, der statuarische Charakter der Figuren. Die Komposition wird ganz mit den Mitteln der Plastik aufgebaut. Das hohe Relief, das fast in die Rundplastik übergeht, und die vom Betrachter leicht wahrzunehmende plastische Modellierung der Figuren dienen als alleinige Ausdrucksmittel des Künstlers. Er greift nicht zu optischen Effekten wie dem Licht-Schatten-Spiel, sondern beschränkt sich auf die natürliche Verteilung von Licht und Schatten über die sorgfältig modellierten Körper der Figuren.
Sehr überzeugend wirkt L. Guerrinis Auffassung, daß auf dem Sarkophag der Ermitage für die Ermordungsszene des Aigisthos ein Schema verwendet wurde, das für den Tod des Agamemnon üblich ist, das wiederum von den etruskischen Urnen13 herkommt. Besonders auffallend erweist sich die Ähnlichkeit zwischen der Figur der Klytaimestra mit der Sitzbank in den Händen in dieser Szene und der Figur der Erigona auf dem Relief der Ermitage. Jedoch muß man diese Gestalt nicht unbedingt gerade mit der Klytaimestra vergleichen, weil jenes Motiv auch auf einer Urne in Perugia mit der Darstellung einer Schlacht vorkommt14. Das Urbild für die Gruppe des Orest und der Klytaimestra läßt sich auch auf einem etruskischen Steinsarkophag vom Ende des vierten beziehungsweise Anfang des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung nachweisen15. In römischer Zeit kommt das gleiche Schema auf attischen Sarkophagen mit der Amazonomachie vor16. Der Unterschied besteht nur darin, daß der griechische Krieger hier der Amazone von oben den Dolchstoß versetzt und nicht von unten wie auf den etruskischen Urnen und dem Relief der Ermitage. Die Haltung der Hand mit dem Dolch, die der Geste des Orest auf dem Denkmal der Ermitage entspricht, kommt ausschließlich — wenn auch selten — auf Sarkophagen echt römischer Herkunft vor17. Deshalb liegt es nahe, daß das Motiv der Ermordung einer zu Boden gesunkenen Frau durch einen Krieger ebenso wie das der Ermordung eines auf dem Thron sitzenden Herrschers, die beide aus der griechischen Kunst herrühren, auf dem Sarkophag der Ermitage in der etruskischen Variante wiedergegeben ist.
Die übrigen Personen des Reliefs in der Ermitage finden ebenfalls Analogien auf anderen Denkmälern. So erinnert die Haltung der weiblichen Figur (Elektra?) an die Haltung des Achilleus auf einem Sarkophag in der Villa Pamphili18 sowie an die Niobiden des Sarkophags im Vatikan19 und wiederholt wörtlich die Mittelfigur auf einem Sarkophag mit der Entführung der Leukippiden ebendort20.
Der deutlich ausgeprägte kompilative Charakter der Komposition beeinträchtigt allerdings nicht die künstlerischen Vorzüge des Werkes. Die Gruppen und die Einzelfiguren sind geschickt durch die gemeinsame Handlung verbunden; die Dynamik und der tragische Charakter der Ereignisse sind gut wiedergegeben. Die Köpfe der Figuren werden allerdings idealisiert und geben nicht die Empfindungen wieder, die allein durch die Gesten zum Ausdruck gebracht werden.
Das Denkmal ist im höchsten Grade klassizistisch, und doch lassen sich an ihm gleichzeitig rein römische Züge feststellen. Es wurde bereits auf den Zusammenhang der Komposition mit der etruskischen Plastik hingewiesen. Man muß auch den für Rom typischen erzählenden Charakter der Komposition hervorheben, wobei die Hauptperson der Handlung in sich nacheinander abspielenden Episoden wiederholt auf tritt.
Dem Relief der Ermitage steht in stilistischer Hinsicht der Sarkophag mit den Leukippiden im Vatikan21 am nächsten, der seinerseits in die Zeit um 160 datiert wird. Doch erlauben, wie es scheint, bestimmte Besonderheiten, das Exemplar der Ermitage in eine spätere Zeit zu datieren. Dazu S.38 berechtigt in erster Linie die Tatsache, daß der dem Relief im ganzen eigene einschichtige Kompositionsaufbau durch die Aufnahme einer Figur im Hintergründe, nämlich einer Erinye hinter der Klytaimestra, beeinträchtigt wird. Am Sarkophag in der Ermitage ist in Haltung und Gestik eine größere Expressivität zu beobachten, die die Entstehung eines barocken Stiles ankündigt. Weitaus häufiger wird der Bohrer benutzt. Die malerische Weichheit, das dekorative Element und die bis ins Einzelne gehende Behandlung der Gewänder bei den Personen auf dem Sarkophag mit den Leukippiden weicht jetzt einer mehr summarischen und stellenweise schematischen Darstellungsweise. Die demnach in den Jahren 160—
Römische Arbeit. 160—
ANMERKUNGEN:
1Pelike des Berliner Malers in Wien, Kunsthistorisches Museum Inv. 3725, um 500 v. u. Z.: CVA Österreich = Wien, Kunsthistorisches Museum 2, Taf. 68.
2E. Strong, Roman Sculpture from Augustus to Constantine, London / New York 1907, Bd. 2, S. 256. Enciclopedia dell’ arte antica classica e orientale V, Roma 1963, S. 742 s. v. Oreste (L. Guerrini).
3SR. II, S. 168—
4Enciclopedia dell’arte antica classica e orientale V, Roma 1963, S. 742 s. v. Oreste.
5Vgl. Anm. 1; außerdem 1) Krater des Ägisthos-Malers in Bologna, Museo Civico Inv. C. 81: CVA Italia 5 = Bologna, Museo Civico 1, III Ic, Taf. 37 (= Italia Taf. 234). — 2) Amphora des Ixion-Malers in Berlin, Staatliches Museum Inv. 3167:
6H. Brunn, I rilievi delle urne etrusche, vol. 1, Berlino 1916, Taf. 75, 1—
7SR. II, S. 174—
8SR. II, S. 168—
9SR. III 2, S. 222—
10SR. III 3, S. 379—
11SR. III 3, S. 461—
12SR. III 3, S. 528—
13H. Brunn, I rilievi delle urne etrusche, vol. 1, Berlino 1916, Taf. 74, 1—
14G. Körte, I rilievi delle urne etrusche, vol. 3, Berlino 1916, Taf. 7, 8.
15R. Herbig, die jüngeretruskischen Steinsarkophage (= Die antiken Sarkophagreliefs VII), Berlin 1952, S. 40—
16Vgl. die Schmalseite eines Sarkophags in London, British Museum: SR. II, S. 129—
17Vgl. den Sarkophag mit Amazonomachie in Rom, Museo Capitolino: SR. II, S. 132—
18SR. II, S. 47—
19G. Lippold, III 2, S. 340—
20G. Lippold, III 2, S. 431—
21Anm. 20. B. Andreae, in: W. Helbig, Führer4, Nr. 575.
22Zu dieser Frage vgl. G. von Lücken, Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 14, 1965, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Heft 1, S. 75—
© 1979. Description: Saverkina I. I. Römische Sarkophage in der Ermitage. Akademie-Verlag, Berlin, 1979. S. 35—38, Kat. Nr. 13, Taf. 25—27.