3rd cent. CE. Inv. Nos. ГР-4222 / A 433.Saint Petersburg, State Hermitage MuseumPhoto by Ilya Shurygin
Sarcophagus with a matrimonial ceremony (so-called wedding or marriage sarcophagus).
3rd cent. CE.
Saint Petersburg, State Hermitage Museum
(Санкт-Петербург, Государственный Эрмитаж).
14. Hochzeitssarkophag (Taf. 28—37).
Inv.-Nr. A. 433.
Maße: H. mit Deckel = 1,13 m; H. ohne Deckel = 0,80 m; L. = 2,30 m; Br. = 1,06 m.
Material: Grobkörniger Marmor gräulicher Färbung.
Herkunft: Gelangte 1862 aus der Sammlung Campana in die Ermitage. Wurde 1843 von H. Brunn in Monticelli in der Nähe von Tivoli gefunden.
Erhaltungszustand: Der Sarkophagkasten ist aus Einzelstücken zusammengesetzt und vorzüglich restauriert, offenbar als er sieh in der Sammlung Campana befand. An der Frontseite befinden sich Flicken an Teilen des Karnies und stellenweise am Hintergrund. Neu sind der Kopf der Venus sowie Flicken an der Kleidung vieler Figuren. Zahlreiche Brüche und Ausbesserungen an den Klebestellen. Während die rechte Schmalseite gut erhalten ist, mußte die linke aus Stücken zusammengesetzt und ein großes Stück mit dem Oberteil der linken Hirtenfigur und Baum ergänzt werden. Die gesamte Oberfläche des Sarkophags ist abgerieben; besonders die Gesichter der Ehegatten und des Hymenaeus auf der Frontseite haben gelitten. Auch der Deckel ist aus Stücken zusammengesetzt; auf seiner Rückseite befindet sich ein großes Loch.
Literatur:
Г. Кизерицкий, Императорский Эрмитаж. Музей древней скульптуры,
W. Amelung, Die Sculpturen des Vaticanischen Museums, Bd. II, Berlin 1908. S. 292 zu Nr. 102 n.
О. Ф. Вальдгауер, Государственный Эрмитаж. Античная скульптура, Петроград 1923. С. 152, № 384, илл.
G. Rodenwaldt, JdI. 51, 1936, S. 97, 109.
F. Gerke, Die christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit (= Studien zur spätantiken Kunstgeschichte 11), Berlin 1940. S. 236 Anm. 3.
F. Matz, Ein römisches Meisterwerk. Der Jahreszeitensarkophag Badminton-New York (= JdI-EH 19), Berlin 1958. S. 152 Nr. 5.
N. Himmelmann-Wildschütz, Festschrift für Friedrich Matz, Berlin 1962, S. 120.
R. Turcan, Les sarcophages romains à représentations dionysiaques. Essai de chronologie et d’histoire religieuse (= Bibliothèque des Ecoles Françaises d’Athènes et de Rome 210), Paris 1966. S. 94, 210.
H. Jucker, AA. 1966, S. 512 Anm. 24, Abb. 16 (Detail).
Karnies und Sockel des Sarkophagkastens sind schmal und glatt ausgeführt. Die Rückwand ist glatt gelassen, so daß sich die Reliefs auf die drei übrigen Seiten verteilen. Der Deckel fällt nach den beiden S.39 Langseiten schräg ab, besitzt vorn eine hohe Leiste sowie zwei Masken an den Ecken. Auf der Leiste sind in der Mitte zwei Gruppen plaziert: Rechts die kapitolinische Trias und links drei weibliche Figuren, wahrscheinlich die Parzen. Seitlich davon befinden sich Darstellungen der in ihren Wagen aufsteigenden beziehungsweise hinabtauchenden Helios und Selene. In den Seitentympana des Deckels sind paarweise liegende Sphingen dargestellt.
Die Frontseite des Sarkophags ist allein der Szene des Hochzeitsopfers gewidmet. In der Mitte befindet sich der Altar, an dem ein rechts davon stehender Mann die Ausgießung aus einer Phiale vornimmt. Sein Kopf bleibt unbedeckt; doch die hinter ihm stehende Virtus mit einem Palmzweig in der Hand bekränzt ihn gerade. Links vom Altar steht eine in einen Mantel gehüllte weibliche Figur. Es handelt sich um die beiden Eheleute, deren Gesichter als Porträts ausgeführt sind. Hinter dem Altar steht die mit einem Diadem geschmückte Concordia, der der Chiton von einer Schulter herabgeglitten ist. Unmittelbar hinter der Braut erscheint Venus mit Amor, letzterer hält einen Köcher. Weiter links und hinter Amor folgt Hymaeneus mit einer brennenden Fackel. Die Komposition wird auf der linken Seite von drei weiblichen, Opfer darbringenden Figuren abgeschlossen, deren mittlere eine halb geöffnete Schatulle mit darin sichtbarem Stoff in den Händen hält. Rechts hinter Victoria befinden sich eine Opferdienerin (camilla) und ein Opferknabe (camillus), ein weiterer Opferdiener (victimarius) mit dem Opferstier und ein Liktor.
Auf der rechten Schmalseite ist eine Jagdszene dargestellt. Die Figur eines Reiters, der mit einer Lanze in der erhobenen rechten Hand auf einen Hirsch und einen Eber ein dringt, füllt die gesamte Wandfläche aus.
An der linken Schmalseite findet man eine Hirtenszene: Links sind zwei Hirten dargestellt, von denen der eine sitzt und der andere steht, rechts weidende Tiere, die in zwei Reihen angeordnet sind.
Auf der stark beschädigten Oberfläche des Reliefs sind Spuren einer Bearbeitung mit dem Polierstein zu erkennen. Der Bohrer wurde bei der Behandlung der Pupillen, Augenwinkel und des Mundes, der Haare und einiger Details wie der Flamme auf dem Altar, dem Kranz auf dem Kopf des Mannes und dem Palmzweig in der Hand der Virtus verwendet. Der Sarkophag zählt zu den verbreiteten römischen Sarkophagen mit „biographischem“ Darstellungsgegenstand, deren Auftreten durch den Einfluß des monumentalen historischen Reliefs bedingt ist1. Der Sarkophag in der Ermitage erweckte die Aufmerksamkeit der Forscher bereits zu der Zeit, als er sich noch in der Sammlung Campana befand2. Das Interesse für dieses hervorragende Denkmal ist bis heute nicht erloschen. Weitaus die meisten Autoren setzen ihn in das zweite Jahrhundert (G. Rodenwaldt, F. Gerke, F. Matz, N. Himmelmann-Wildschütz, R. Turcan), obwohl auch unter ihnen keine einheitliche Auffassung besteht. So datiert ihn G. Rodenwaldt in die Zeit des Marc Aurel. R. Turcan präziser in die Jahre um 160 und hält ihn für jünger als den bekannten Sarkophag in Mantua3, der seiner Auffassung nach aus derselben Werkstatt stammt. F. Matz ordnet dagegen den Sarkophag der Ermitage in der chronologischen Reihe hinter dem von Mantua ein. Von dem allgemein vertretenen Standpunkt weicht allerdings die Auffassung von H. Jucker stark ab; er schlägt eine Datierung des Sarkophags in der Ermitage in die Zeit Galliens vor.
Diese um ein Jahrhundert differierende Datierung des Monumentes beruht zweifellos auf seiner Originalität und einer ganzen Reihe nebeneinanderstehender, scheinbar widersprüchlicher stilistischer Besonderheiten.
Schon lange steht fest, daß der Sarkophag der Ermitage sieh von den meisten „biographischen“ Sarkophagen dadurch unterscheidet, daß auf seiner Frontseite nur eine Szene wiedergegeben ist. Anstelle einer Reihe von nacheinander ablaufenden Episoden ist auf ihr nur eine Szene, nämlich allein das Opfer, dargestellt. G. Rodenwaldt bestimmte den allegorischen Gehalt jeder einzelnen Episode auf den „biographischen“ Sarkophagen: Tüchtigkeit (virtus), Frömmigkeit (pietas), Mitleid (clementia) und eheliche Harmonie (concordia). Auf dem Sarkophag der Ermitage ist zwar nur eine einzige Episode dargestellt, die jedoch zumindest drei allgemeinverbindliche Tugenden des Verstorbenen symbolisiert: Die fromme Handlung (pietas) bildet den Hauptinhalt der Szene; Concordia, die die Ehegatten umarmt, verweist auf die eheliche Harmonie (concordia)4; Virtus schließlich, die den Kranz aufsetzt, verkörpert die Tüchtigkeit des Verstorbenen (virtus). H. Jucker verweist mit Recht darauf, daß der Tote ein Mann des öffentlichen Lebens war und daß der Kranz auf seinem Kopf nicht die Auszeichnung des Siegers ist, sondern die Anerkennung seiner gesellschaftlich relevanten Tüchtigkeit. Das Motiv S.40 ist der monumentalen Triumphalskulptur entlehnt, ähnlich wie es auch bei einigen anderen vorkommt, die in das Repertoire der Grabplastik aufgenommen wurden. Allein die vierte Tugend — das Mitleid (clementia) — wurde auf dem Sarkophag der Ermitage nicht dar gestellt. Das läßt sich nur dadurch erklären, daß weder ein Imperator noch ein Feldherr, sondern eine Zivilperson dargestellt wurde. Die allegorische Darstellung seiner allgemeinverbindlichen Tugenden ist ein neues, typisch römisches Verfahren bei der Heroisierung des Toten.
So sind auf dem Sarkophag der Ermitage mehrere aufeinanderfolgende Episoden zu einer einzigen, ihrem Sinne nach vieldeutigen Szene verschmolzen. Die Ablösung der erzählenden Komposition durch eine einzige Szene mit einem klar ausgeprägten Mittelpunkt erfolgt seit dem Ende der antoninischen Epoche5. Das ist aber eher für mythologische Sarkophage charakteristisch, während die Gruppe der „biographischen“ Sarkophage erzählenden Charakters eine der traditionellsten ist und ihre Form über einen langen Zeitraum beibehält. Der Sarkophag in der Ermitage gehört offenbar zu den wenigen Ausnahmen.
Die nächste Analogie zum Sarkophag der Ermitage ist ein Exemplar im Vatikanischen Museum6. Es ist der einzige Sarkophag, der fast das gleiche Kompositionsschema wie der Sarkophag in der Ermitage zeigt. Nur unbedeutende Einzelheiten weichen voneinander ab. Auf dem Exemplar im Vatikan ist als Opferdiener nur eine Figur (camilla) und anstelle der drei Mädchen links sind nur zwei vorhanden. Es gibt aber noch einen weiteren Unterschied: Auf dem Sarkophag im Vatikan sind die Götter mit selbstverständlicher Ausnahme der Iuno Pronuba unbekleidet dargestellt. Die Proportionen der Sarkophagkästen sind fast identisch; der Kasten im Vatikan ist wegen der Höhe seines Sockels etwas höher und nur wenig kürzer. Die Kompositionen der Schmalseiten sind verschieden. Möglicherweise entstammen beide Sarkophage einer Werkstatt, denn die zwischen ihnen bestehende kompositionelle Übereinstimmung, die sie von den übrigen „biographischen“ Sarkophagen abhebt, ist ziemlich groß. Leider verbietet der sehr schlechte Erhaltungszustand des Exemplars im Vatikan einen stilistischen Vergleich. Er macht jedoch den Eindruck einer flächigeren und flüchtigeren Arbeit.
Der bereits erwähnte Sarkophag in Mantua wurde wiederholt stilistisch mit dem Sarkophag der Ermitage verglichen. R. Turcan hält beide sogar für Produkte einer Werkstatt. Diese Ansicht scheint jedoch zu kategorisch geäußert. Der stilistische Unterschied ist zu groß, als daß man diese beiden Sarkophage für Erzeugnisse einer Werkstatt halten könnte. Der Sarkophag von Mantua läßt sich nämlich nicht nur kompositorisch in drei unabhängige Episoden aufgliedern, während der Sarkophag der Ermitage eine einzige Szene darstellt, sondern der Unterschied besteht gerade in der Methode, nach der das Thema behandelt ist und die Figuren dargestellt werden.
Auf dem Exemplar der Ermitage liegt ein einschichtiges Relief vor, wobei die Stellung der Concordia hinter dem Altar traditionsgebunden ist und nicht als Gegenargument angeführt werden kann. Die Figuren, die fast rundplastisch behandelt sind, werden so weit in den Vordergrund geschoben, daß die Füße der Figuren und der den Opfertisch tragende Dreifuß über den Sockel herausragen. Das Relief des Sarkophags in Mantua entwickelt sich dagegen in die Tiefe. In der Gruppe des Gefangenen und des Legionärs sowie in der Gruppe der Opferdiener (victimarii) mit dem Stier lassen sich deutlich drei Ebenen unterscheiden. Die Tiefe ist auch durch die Einführung eines architektonischen Details hervorgehoben, nämlich durch die Porticus eines Tempels, vor dem sich die Opferhandlung abspielt.
Die Figuren des Sarkophags in der Ermitage sind statisch auf gereiht, wodurch die Feierlichkeit der vor sich gehenden Zeremonie noch unterstrichen wird. Auf dem Relief von Mantua sind die Bewegungen der Figuren dagegen dynamisch erfaßt. Besonders instruktiv ist ein Vergleich des ruhig dastehenden Opferdieners (victimarius) der Ermitage und seines eine Axt schwingenden Pendants in Mantua, der en face steht, nicht weniger der zwischen dem gleichsam in Pose stehenden Amor (Ermitage) und dem vorwärtsstürmenden Amor-Hymaeneus (Mantua). Auch die Gesichtstypen sind auf diesen beiden Sarkophagen völlig verschieden. Abgesehen von den Porträtköpfen der Toten, die sich nach dem Auftrag und der Entstehungszeit der Monumente richten, unterscheiden sich die nur andeutend behandelten Gestalten der zwei bärtigen Opferdiener (victimarii) und das idealisch schöne Gesicht des Opferknaben (camillus) in Mantua von dem ausdrucksstarken und fast individuellen Gesicht des Opferdieners (victimarius) auf dem Sarkophag der Ermitage. Auch die Proportionen der Figuren S.41 sind unterschiedlich: Auf dem Sarkophag in Mantua wirken sie mit ihren großen Köpfen etwas verkürzt, während sie auf dem Sarkophag der Ermitage stärker gestreckt sind, obschon nicht in solchem Grade wie auf dem Sarkophag im Vatikan.
Die Schmalseiten der Sarkophage in Mantua und im Vatikan stehen mit dem Darstellungsgegenstand der Frontseite in Zusammenhang. Dagegen greift an dem Sarkophag der Ermitage nur eine der Schmalseiten in gewisser Weise die Hauptkomposition wieder auf, nämlich die Jagd (virtus). Die andere Schmalseite mit der Hirtenszene ist eher für mythologische als für „biographische“ Sarkophage charakteristisch. H. Brunn äußerte die Vermutung, daß der Inhalt dieser beiden Szenen allegorisch zu deuten sei: Ein aktives und tätiges Leben wird einem beschaulichen beziehungsweise Jugend dem Alter gegenübergestellt7.
Die Komposition der Deckel stimmt in den Hauptzügen auf insgesamt drei Sarkophagen, dem der Ermitage, dem Mantuaner und einem in Rom, San Lorenzo fuori le mura8 aufbewahrten, überein. Eine Besonderheit des Exemplars in der Ermitage liegt in der Tatsache, daß neben der kapitolinischen Trias drei weibliche Figuren, die Parzen, eingeführt werden. Was die seitlichen Masken anbelangt, so steht der Deckel der Ermitage dem von Mantua zwar näher, unterscheidet sich aber auch von ihm durch größere Ausdruckskraft, die sich in den geschwollenen Stirnmuskeln, an der Nasenwurzel und den zu den Schläfen hochgezogenen dichten Augenbrauen äußert. Außerdem sind die Haare bedeutend trockener, graphischer und ohne Verwendung des Bohrers ausgeführt.
Am schwierigsten zu beantworten bleibt die Frage nach der Datierung des Sarkophags in der Ermitage. Bis in jüngste Zeit gingen die Forscher nicht über das zweite Jahrhundert hinaus. Diese Datierung wurde von H. Jucker angezweifelt; er schlug vor, das Monument in die Zeit Galliens zu setzen. Dabei stützte er sich auf die Analyse der Porträts. Auf Grund eines Vergleichs mit dem Porträt auf dem Sarkophag eines Konsuls, der von N. Himmelmann-Wildschütz publiziert wurde9, datiert H. Jucker das männliche Porträt in gallienische Zeit. Das weibliche Porträt aber, dessen Frisur offensichtlich dieser späten Datierung widerspricht, hält H. Jucker für eine moderne Restauration, wobei er sich als Beweis auf die Bruchlinie beruft, die über den Hals läuft. Doch meines Erachtens läßt der Kopf der Braut keinen Zweifel an seiner Echtheit zu. Der gesamte Sarkophag ist aus vielen Bruchstücken zusammengesetzt, an der Oberfläche sind überall Brüche und Risse zu erkennen. Bezeichnenderweise hebt sich der sicher modern ergänzte Kopf der Venus durch Farbe und Qualität des Marmors wie auch durch den Charakter seiner Ausführung deutlich ab. Der Kopf der Braut ist dagegen aus dem gleichen Marmor hergestellt wie auch die übrigen Teile des Sarkophags, er trägt ähnliche Beschädigungsspuren und ist mit der gleichen Patina überzogen.
Die Gesichtszüge der Braut sind stark idealisiert und wenig ausdrucksvoll. Ihre Frisur ähnelt tatsächlich derjenigen von Faustina der Jüngeren10 und besonders der Lucilla11, insgesamt geht er jedoch auf frühere Vorbilder aus der Epoche des Späthellenismus zurück12. Weitaus interessanter ist das männliche Porträt mit seinen weichen Gesichtszügen, glatten, über Stirn und Schläfen gekämmten Haarsträhnen und leicht gekraustem Bart, dessen Locken mit dem Bohrer ausgeführt sind. Außer dem von H. Jucker vorgeschlagenen Vergleich mit dem Porträt des Konsuls kann man viele Porträts aus gallienischer Zeit mit einer ähnlichen Behandlung von Haar und Bart finden. Am nächsten stehen ein Porträt im Nationalmuseum zu Athen13, ein Porträt im Museum von Bergama14 und ein etwas späteres Porträt auf einem Sarkophag im Museo Nazionale Romano15. Während sie dem Porträt der Ermitage in der Frisur und in der Form von Backen- und Kinnbart ähneln, unterscheiden sie sich durch deren Behandlung von ihm. Die Perfektion der Ausführung erreicht bei ihnen eine glatte Manier und verleiht so dem Porträt akademische Kühle. Bei dem Porträt der Ermitage ist dagegen noch eine Plastizität vorhanden, die der Gestalt eine lyrische Stimmung vermittelt. Eine derartige Charakterisierung der Hauptperson der Handlung macht das Relief der antoninischen Kunst verwandt. Die Frisur und die Bartform widersprechen meines Erachtens dieser Datierung nicht. Uber Stirn und Schläfen gekämmte Haare kann man am Porträt des Annius Verus im Louvre16 ebenso wie an der Büste eines Jünglings in Privatbesitz17 erkennen. Dem Porträt der Ermitage stehen jedoch die Darstellungen des Claudius Pompeianus und eines unbekannten Begleiters des Marc Aurel an den Reliefs von der Säule dieses Kaisers18 und auf dem Relief mit der nuncupatio votorum im Konservatorenpalast19 noch näher. Bei diesen Reliefs sind zwar der Bohrer stärker verwendet und die S.42 Gesichtsfalten sowie Augenhöhlen schärfer betont worden, doch läßt sich dies mit der Bestimmung der Reliefs erklären, die für eine Betrachtung aus der Ferne berechnet sind.
Somit scheinen beide Porträtdarstellungen auf dem Sarkophag der Ermitage gleichzeitig zu sein und Gestalten von Zeitgenossen des Marc Aurel wiederzugeben. Jedoch wird man annehmen dürfen, daß ihre Ausführung in eine etwas spätere Zeit fällt, weil in der Sarkophagplastik die Darstellung von Personen in der Mode ihrer Jugend üblich ist.
Das Thema der einen Schmalseite, nämlich die Hirtenszene, kommt sonst auf Hochzeitssarkophagen nicht vor, doch tritt es auf mythologischen Sarkophagen bereits sehr früh auf. Für ein solches frühes Beispiel einer Hirtenszene mit zweireihigem Kompositionsaufbau hält F. Gerke die Schmalseiten eines Sarkophags im Vatikan20, der in späthadrianische Zeit datiert wird21.
Römische Arbeit. Ende des 2. Jahrhunderts.
1G. Rodenwaldt, Über den Stilwandel in der antoninischen Kunst (= Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1935, Phil.-hist. Klasse, Nr. 3), Berlin 1935. S. 4.
2Zur Bibliographie vgl. Г. Кизерицкий, Императорский Эрмитаж. Музей древней скульптуры,
3A. Levi, Sculpture greche e romane del Palazzo Ducale di Mantova, Roma 1931, Taf. 95—
4G. Rodenwaldt. Loc. cit. S. 6.
5R. Turcan, Les sarcophages romains à représentations dionysiaques. Essai de chronologie et d’histoire religieuse (= Bibliothèque des Ecoles Françaises d’Athènes et de Rome 210), Paris 1966. S. 52. Nach Meinung von F. Gerke, Die christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit (= Studien zur spätantiken Kunstgeschichte 11), Berlin 1940, S. 11, erst in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts.
6W. Amelung, Die Sculpturen des Vaticanischen Museums, Bd. II, Berlin 1908. S. 290—
7H. Brunn, Kleine Schriften, Bd. 1, Leipzig 1898, S. 11.
8F. Matz, Ein römisches Meisterwerk. Der Jahreszeitensarkophag Badminton-New York (= JdI-EH 19), Berlin 1958. Taf. 28 b.
9N. Himmelmann-Wildschütz, Festschrift für F. Matz, Mainz 1962, Taf. 32, 34.
10Vgl. F. Poulsen, JdI. 47, 1932, S. 86 Abb. 14.
11Vgl. J. Inan / E. Rosenbaum, Roman and Early Byzantine Portrait Sculpture in Asia Minor, London 1966. Nr. 52, Taf. 33, 1—
12Vgl. R. Horn, RM. 53, 1938, Taf. 19, 1.
13H. P. L’Orange, Studien zur Geschichte des spätantiken Porträts, Oslo 1933, S. 126 Nr. 67, Abb. 118—
14J. Inan / E. Rosenbaum. Loc. cit. Nr. 126, Taf. 75, 1—
15L. Budde, JdI. 54, 1939, S. 254 Abb. 4.
16J. Charbonneaux, La sculpture grecque et romaine au Musée du Louvre, Paris 1963, S. 165 Nr. 3539.
17F. Poulsen, Greek and Roman Portraits in English Country Houses, Oxford 1923, S. 94 Nr. 81, Abb.
18E. Petersen / A. von Domaszewski / G. Calderini, Die Marcus-Säule auf Piazza Colonna in Rom, München 1836, Taf. 19, 26; 32, 9; 33, 15; 37, 1; 45, 2; 55, 7; 80, 2.
19P. G. Hamberg, Studies in Roman Imperial Art, Uppsala 1945, Taf. 9.
20F. Gerke. Loc. cit. Taf. 48 a—
21B. Andreae, Motivgeschichtliche Untersuchungen zu den römischen Schlachtsarkophagen, Berlin 1956, in: W. Helbig, Führer4, Nr. 569.
Info: museum annotation.
© 1979. Description: Saverkina I. I. Römische Sarkophage in der Ermitage. Akademie-Verlag, Berlin, 1979. S. 38—42, Kat. Nr. 14, Taf. 28—37.